Oberösterreich baut Abwasserscreening flächendeckend aus

Pressekonferenz mit Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer und Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder

zum Thema

Oberösterreich baut Abwasserscreening flächendeckend aus – Neues Monitoringprogramm des Landes wird zu bedeutendem Analysetool für Pandemiemanagement

Weitere Gesprächsteilnehmer:
Mag. Dr. Florian Kolmhofer LLB. (Abteilung Gesundheit, Pandemiemanagement

Corona begleitet unsere Gesellschaft nun schon seit mehr als zwei Jahren. Um das Infektionsgeschehen einzudämmen und die Bevölkerung bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen, war es immer wieder notwendig, Lockdowns oder andere Maßnahmen zu beschließen. Expert/-innen haben bereits in der Vergangenheit wiederholt einen Anstieg der Infektionszahlen im Sommer prognostiziert. Aktuell steigen die Infektionszahlen analog zu den bundesweiten Zahlen auch in Oberösterreich wieder an, die 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner/-innen beträgt laut AGES-Dashboard aktuell 471,8 (Stand 27. Juni 2022). Zu Beginn dieses Monats lag dieser Wert noch bei 131,4. Nicht nur aufgrund der deutlich früher wieder einsetzenden Infektionsdynamik ist die Situation im heurigen Jahr mit jener der Jahre 2020 und 2021 nicht zu vergleichen. Die mittlerweile vorherrschenden Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 sind wesentlich ansteckender als frühere Varianten, deshalb wirken saisonale Effekte, etwa der Umstand, dass das Leben der Menschen aufgrund der sommerlichen Temperaturen wieder draußen stattfindet, nicht so stark dämpfend wie in den beiden letzten Jahren. Gleichzeitig gibt es, anders als 2021, keine steigende Immunisierung. Im Gegenteil: Während im Vorjahr im Vergleichszeitraum viele Menschen die 2. Teilimpfung erhalten haben, nimmt der Immunschutz aktuell wieder ab. Der wieder angelaufene Sommertourismus bringt zusätzliche Dynamik in das Infektionsgeschehen. Zwar nehmen die Anzahl der an SARS-CoV2 erkrankten Patientinnen und Patienten in den oberösterreichischen Krankenanstalten wieder zu, aufgrund der mehrheitlich milderen Verläufe ist aber gerade die Situation auf den Intensivstationen nicht mit jener in den Vorjahren vergleichbar. 

Mit dem Wegfall zahlreicher Maßnahmen und dem nicht mehr verpflichtenden 3-G-Nachweis hat sich die Anzahl der Testauswertungen weiter verringert. Um im Corona-Management weiter „auf (Gefahren)Sicht“ fahren zu können, ist gerade in Zeiten steigender Fallzahlen, aber gleichzeitig weniger Testauswertungen ein auf Oberösterreich abgestimmtes Abwassermonitoring eine wertvolle Ergänzung der bisher angewandten Instrumente. Gerade das frühzeitige Identifizieren von Trends hinsichtlich Fallzahlen und neuer Varianten ist besonders wertvoll, eine eigene Vorgangsweise daher geboten. Um rasch und fundiert über notwendige Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens entscheiden zu können, benötigen die politischen Verantwortlichen eine valide Datenlage. Neben Corona-Testungen können diese Daten vor allem auch über sogenannte Abwasser-Monitoringprogramme generiert werden. Während das nationale Monitoringprogramm des Gesundheitsministeriums weiterhin bundesseitig betrieben wird, werden jene Auswertungen, welche man bislang über das Monitoringprogramm des Bildungsministerium (“Schulstandortmonitoring”) generiert hat, nach dessen Auslaufen durch das Land Oberösterreich weitergeführt. Dazu kommen zehn weitere Kläranlagen. Die Auswertungen der Proben von schlussendlich 26 Standorten werden ein insgesamt aussagekräftigeres Bild über alle Bezirke und nicht nur in den Ballungsräumen zeigen.

“Das flächendeckende OÖ Abwasserscreening ist Teil unserer umfassenden Vorbereitungen auf den kommenden Herbst. Das Screening soll helfen, das Infektionsgeschehen bestmöglich zu evaluieren, herannahende Wellen frühzeitig zu erkennen beziehungsweise neue Virusvarianten rasch zu identifizieren“, betont Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer.

Der in der oberösterreichischen Landesregierung für die Wasserwirtschaft zuständige Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder unterstreicht die Bedeutung des Abwassermonitorings für das Pandemiemanagement: „Das Abwassermonitoring ist eine ergänzende Informationsquelle, die uns dabei hilft, gemeinsam mit der Individualdiagnostik das Pandemiegeschehen zu erfassen. Das oberste Ziel der oberösterreichischen Landesregierung in dieser Pandemie ist klar: der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Mit dem Ausbau des oberösterreichischen Abwassermonitorings können wir Trends und regionale Unterschiede rasch erkennen und zielgerichtet darauf reagieren. Mein großer Dank gilt den engagierten Mitarbeiter/-innen im Landesdienst und den Betreiber/-innen der Kläranlagen, ohne die der Ausbau dieses Programms nicht möglich wäre.“

Die Abwasserepidemiologie wird in Österreich seit Jahren sehr erfolgreich zum Monitoring des Konsums von Pharmazeutika etc. eingesetzt. Besondere Stärken der Abwasseranalyse im Vergleich zu anderen epidemiologischen Verfahren sind:

  • Eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung
  • Erhebung von populationsspezifischen Daten, ohne in die Privatsphäre des Einzelnen eingreifen zu müssen
  • Keine Zustimmung und Kooperation der Probanden notwendig
  • Einfache und sichere Probenahme im Rahmen der Eigenüberwachung der Kläranlagen
  • Simple Logistik
  • Schnelle und kostengünstige Umsetzung

Derzeit gibt es zwei bundesweite Abwasser-Monitoringprogramme als Analysetool für die Corona-Pandemie. Im nationalen Monitoring des Gesundheitsministeriums werden die 24 größten Kläranlagen Österreichs beprobt, die mit ihrem Einzugsgebiet rund 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung abdecken. In Oberösterreich betrifft das vor allem die Ballungsräume Wels und Steyr, die Teilnahme von Linz wird derzeit vorbereitet.

Im „Schulstandortmonitoring“ des Bildungsministeriums werden momentan Kläranlagen im Einzugsgebiet der 108 österreichweit wichtigsten Schulstandorte beprobt, darunter fallen 16 oberösterreichische Kläranlagen. Wie lange das Schulstandortmonitoring noch weitergeführt wird, ist aktuell noch nicht klar; derzeit wurde seitens des zuständigen Ministeriums Ende August 2022 avisiert. Ein Wegfallen dieser wichtigen Daten würde aber insbesondere in Zeiten, in denen wenig „klassische“ Corona-Tests durchgeführt werden, dazu führen, dass es für Oberösterreich kein aussagekräftiges Gesamtbild mehr gibt.

Das Land Oberösterreich hat sich daher dafür entschieden, die 16 oberösterreichischen Standorte des Schulstandortmonitorings zu übernehmen, sobald das Bildungsministerium dieses Programm einstellt. Das oberösterreichische Monitoringprogramm startet bislang im Juli mit zehn weiteren Standorten, die in enger Abstimmung mit Expert/-innen ausgewählt wurden.

Nach Einbeziehung aller auch im nationalen Monitoring vorgesehenen Kläranlagen, befinden sich mehr als eine Million Hauptwohnsitze im durch die verschiedenen Programme überwachten Einzugsgebiet. Alleine durch das regionalisierte OÖ-Programm überwacht das Land Oberösterreich in der Endumsetzung den Einzugsbereich von rund 450.000 Hauptwohnsitzen. Das oberösterreichische Monitoringprogramm zielt vor allem darauf ab, den ländlichen Bereich – auch nach dem Auslaufen des Programms des Bildungsministeriums – bestmöglich zu überwachen und Entwicklungen zu identifizieren, während der Zentralraum durch das nationale Monitoring bereits sehr gut abgedeckt ist. Die im Rahmen des oberösterreichischen Abwassermonitoring in den Kläranlagen gezogenen Proben werden zentral im Labor des Salzkammergutklinikums Vöcklabruck untersucht.

Die genaue Beprobung von Abwasser hat für das Krisenmanagement mehrere große Vorteile. Durch den zeitlichen Vorsprung fungiert das Abwasser-Monitoring als Frühwarnsystem und kann so einerseits zur Erkennung von potentiellem Handlungsbedarf und andererseits zur Evaluierung der Wirksamkeit von gesetzten Maßnahmen herangezogen werden. Besonders in Zeiten, in denen sich nur eine geringe Anzahl der Menschen testen lässt, sind die durch die Beprobungen gewonnen Informationen als komplementäres Instrument zur Einschätzung der Entwicklungen sehr wertvoll.  Nach einer Plausibilisierung der gewonnen Ergebnisse bilden diese – neben vielen anderen Faktoren – eine wichtige Grundlage für die Erstellung des internen Lagebildes.