Kleine Kernreaktoren als große Klimaretter?

Pressekonferenz mit Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder, DI Raphael Zimmerl (Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften – BOKU) und DI Dalibor Strasky (Anti-Atom-Beauftragter des Landes OÖ)

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Kleine Kernreaktoren als große Klimaretter? – Tschechische Pläne für einen südböhmischen Atomkraftpark drohen mit neuer strahlender Gefahr direkt an Oberösterreichs Grenze

Seit Jahren nimmt der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung ab. Waren es 1996 noch 17,5 Prozent Anteil, so sind es aktuell nur mehr rund 9,8 Prozent. Die Atomlobby lässt aber nichts unversucht, um der Energieerzeugung mit Atomkraft wieder zu einer Renaissance zu verhelfen. Unterstützt von europäischen Regierungen wie etwa Frankreich oder Tschechien. Die Gefahren der Atomkrafterzeugung kleinredend wird von den Lobbyisten auch immer wieder das Klimaschutzargument vorgebracht. Bedenkt man die Dauer von der Planung bis zur Errichtung neuer AKWs, wo mehr als 20 Jahre vergehen, aber wichtige Klimaschutzziele in dieser Zeit längst erreicht werden müssen, kann die Atomtechnologie keinen Beitrag leisten.

Dabei ist die Faktenlage sehr klar: ohne staatliche Milliardensubventionen sind AKW-Neubauten völlig unmöglich. So hat Frankreich Anfang Oktober das Verfahren zur kompletten Verstaatlichung des Energiekonzerns EDF eingeleitet – mit diesem Schritt soll der geplante Ausbau der Atomkraft in Frankreich sichergestellt werden. Bedenkt man auch den Ausfall von über der Hälfte der französischen überalterten Atomkraftflotte seit Sommer 2022, der für einen zusätzlichen Schub bei den explodierenden Energiepreisen in Europa gesorgt hat, ist ein Festhalten an der Technologie nicht nachvollziehbar. Wirtschaftlich haben die Erneuerbaren die Atomkraft längst ausgestochen. Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) liegen die Stromerzeugungskosten für Photovoltaik in der EU bei 2 bis 6 Cent pro kWh während diese für Atomkraft 14 bis 19 Cent betragen. Als neueste Verkaufsschiene möchte die Atomlobby nun mit „Small Modular Reactors – kurz SMR“ das Comeback der strahlenden Technologie vorantreiben.

Tschechien verkündete bei einer Konferenz der Partner-Regionen des Südböhmischen Kreises im September große Atompläne. Unter Teilnahme von Premierminister Petr Fiala und dem südböhmischen Kreishauptmann Martin Kuba wurde unweit des AKW Temelín die Gründung der Gesellschaft South Bohemian Nuclear Park präsentiert.

Hauptaufgabe dieser Gesellschaft soll die Errichtung des ersten kleinen modularen Reaktors (SMR) in der Tschechischen Republik am Gelände des AKW Temelín bis zum Jahr 2032 sein. Schon nächstes Jahr will man die Bewilligungs,- und Lizenzierungsdokumentation starten. Laut Daniel Benes, Vorstand des Atom-Betreibers CEZ erwarte man sich Synergien bei der Planung, bei Bau und Betrieb des Klein-Reaktors, da man mittelfristig auch den Bau von zwei weiteren Standard-Blöcken in Temelín vorbereite. Zusätzlich wird Oberösterreich von den Plänen eines Atommüllendlagers in Grenznähe bedroht, wo ein Standort in unmittelbarer Nähe zum AKW Temelín als erstgereihter unter vier möglichen Standorten gilt. Der Baubeginn für ein auf 14.500 Tonnen hochradioaktiven Müll ausgelegtes Endlager wird mit 2050, der Betriebsstart mit dem Jahr 2065 angegeben.

„Diese Pläne für einen südböhmischen Atomversuchspark erhöhen die Gefahr für Oberösterreich und wir müssen uns vehement dagegenstemmen. Diese Reaktoren existieren bisher nur auf dem Papier, sie werden Prototypen sein. Oberösterreich wird sicher nicht tatenlos dabei zusehen, wenn unsere nördlichen Nachbarn ein Kernkraft-Experiment vor unserer Haustüre durchführen“, kündigt Landesrat Stefan Kaineder scharfen Widerstand gegen die tschechischen Pläne zum Ausbau der Atomkraft an. „Wie nachhaltig die Atomkraft ist, zeigen uns die verheerenden Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, die menschenverachtenden und umweltzerstörenden Zustände in Uranminen und die seit mehr als 70 Jahren ungelöste Endlagerfrage.“

Kleine modulare Reaktoren in Tschechien – DI Dalibor Strasky

Das momentan gültige staatliche Energiekonzept Tschechiens sieht keine Verwendung der kleinen modularen Reaktoren (SMR) vor. Die Ursache liegt darin, dass das Konzept veraltet ist (beschlossen im Mai 2015) und das Thema SMR erst in den letzten zwei Jahren von der Atomlobby aufgegriffen und massiv dafür geworben wird. Es ist zu erwarten, dass die SMR in der nächsten Aktualisierung des Energiekonzeptes thematisiert werden.

Aktueller Stand – Gründung Südböhmischer Kernenergiepark

Die AG ČEZ hat im März 2022 bekannt gemacht, dass das erste Pilotprojekt im Areal des KKW Temelín entstehen soll. Aufgrund dieser Erklärung hat der Kreis Südböhmen, AG ČEZ und ihre Tochtergesellschaft ÚJV Řež im Mai 2022 ein Memorandum über die Gründung des sog. Südböhmischen Kernenergieparks „South Bohemia Nuclear Park – SBNP“ unterschrieben. Die Parteien verpflichten sich, bei der Vorbereitung der Technologie von SMR, Beurteilung der energietechnischen, finanziellen sowie technischen Machbarkeit zusammenzuarbeiten, die Zusammenarbeit des öffentlichen, privaten und akademischen Sektors sowie die Vorbereitung der Genehmigungsverfahren wird vorgesehen. SBNP überwacht die Forschung, Entwicklung und die Vorbereitung des Aufbaus der Pilotanlage.

Die ČEZ Gruppe hat schon Memoranden über die Zusammenarbeit im Bereich SMR mit folgenden Firmen unterschrieben:

  • NuScale – 50 MWe, PWR,
  • GE Hitachi – 300 MWe, BWR,
  • Rolls Royce – 470 MWe, PWR,
  • EdF – 2×170  MWe, PWR,
  • KHNP – 2×107 MWe, PWR,
  • Holtec – 160 MWe, PWR und
  • seit Okt. 2022 mit Ontario Power Generation

Über die Tochtergesellschaft ÚJV Řež entwickelt die Gruppe ČEZ die SMR selbst: in fortgeschrittener Phase befinden sich die Projekte HeFASTo (GFR, 200 MWth – mit Gas (He) gekühlt, Schnellbrüter) und Energywell (HTR, 8 MWe, gekühlt mit der Salzschmelze FLiBe). Außerdem wird eine SMR-Anlage in Tschechien auch die Vítkovice Gruppe (David -175 MW, LWR) und die Westböhmische Universität (Teplator, 200 MW, mit Leichtwasser gekühlt, mit Schwerwasser moderiert) entwickelt.

Im Jahr 2023 sollen neben Temelín zwei bis drei weitere Standorte für SMR ausgewählt und eine Machbarkeitsstudie ausgearbeitet werden.

Standorte der geplanten SMR in Tschechien und beim AKW Temelín

Abb.1  Geplante Standorte für SMR in Tschechien (Strasky)

Abb.2  Lageplan am Standort des AKW Temelín (Strasky)

Tschechische Atom-Aufsichtsbehörde zeigt sich skeptisch

Die Aufsichtsbehörde SÚJB verhält sich gegenüber SMR in Tschechien eher skeptisch. Sie behauptet, dass mit den SMR nicht in kurzer Zeit zu rechnen sei, sodass sie keinen Ersatz zu den neuen KKW Blöcken darstellen können. Sie können als potentieller Ersatz der großen KKW Blöcke in Betracht genommen werden, wenn dies in den tschechischen Rahmenbedingungen sinnvoll erscheint.

Einen Vorteil haben jene Projekte, die auf der Technik von Druckwasserreaktoren (LWR) basieren. Mit den Leichtwasserreaktoren haben die Genehmigungsorgane viele Erfahrungen, die Regelwerke sind vorhanden. Die anderen Entwicklungen erfordern neue Regelwerke, es gibt keine Erfahrungen mit den „futuristischen“ Projekten, sowohl seitens der Industrie, als auch seitens der Genehmigungsorgane. Das betrifft vor allem die ÚJV-Entwicklungen. Die tschechische Atomlobby betont zwar, dass der Aufbau der SMR auf keinen Fall den Aufbau der neuen KKW Blöcke beschränken darf, mit der Inbetriebnahme der SMR-Anlagen rechnet sie jedoch schon im Jahr 2032, also viel früher, als der neue Block in Dukovany in Betrieb gehen soll.

„Die Atomlobby war zwar bis heute nicht imstande, die Fernwärmeleitung zwischen dem AKW Temelín und Budweis, also ein ziemlich einfaches Projekt, wie geplant bis Ende   Sommer 2020 fertigzustellen, sieht sich jedoch bereit, zwei sehr anspruchsvolle Projekte, nämlich den Aufbau des neuen Blocks in Dukovany und gleichzeitig die SMR Pilotanlage in Temelín erfolgreich zu realisieren“, äußert sich der Anti-Atom-Beauftragte Dalibor Strasky kritisch.

Wissenschaftliche Einschätzung der SMR-Konzepte – DI Raphael Zimmerl

Es gibt eine Fülle von verschiedenen SMR Modellen, aber keine allgemeingültige Definition. Üblicherweise versteht man darunter Kernreaktoren mit einer Leistung von weniger als 300 MWe (vgl. Reaktor Temelín 1.000 MW, Dukovany 440 MW) mit modularen Komponenten. Dabei ist das Konzept nicht neu, bereits in den 1950er Jahren wollte man die Energieversorgung durch ein Netz von kleinen Reaktoren sichern, man scheiterte aber an der technischen Umsetzung.

Es gibt nun in verschiedenen Ländern Pläne, im nächsten Jahrzehnt explizit “SMR” genannte Reaktoren zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Das sind üblicherweise Leichtwasserreaktoren, deren Größe herunterskaliert wird. Daneben stehen natriumgekühlte und Flüssigsalz-Reaktoren im Fokus. In einer Studie des Öko-Instituts e.V. wurden 136 SMR-Konzepte ermittelt, bisher ist kein SMR im kommerziellen Betrieb.

Small modular reactors – Wunsch und Wirklichkeit

SMR sollen besonders sicher Strom erzeugen. Die Gefahr durch ein Kernkraftwerk skaliert allerdings nicht direkt mit der Leistung. Nur weil ein Kernkraftwerk kleiner ist, ist die Gefahr durch Unfälle nicht notwendigerweise      kleiner. Die Betreiber der SMR erhoffen sich aber geringere Sicherheitsvorkehrungen durch die Genehmigungsbehörde. So wird davon gesprochen, dass keine Notfallplanungszone außerhalb des eigentlichen Kraftwerkgeländes benötigt wird.

Oft werden mehrere SMR Einheiten an einem Standort geplant. Eine höhere Anzahl von Kraftwerken erhöht die Wahrscheinlichkeit von Unfällen. Zusätzlich gibt es teilweise Pläne, sicherheitsrelevante Strukturen wie die Leitwarte oder die Notstromaggregate zu teilen. Die Einheiten können somit nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, ein Risikofaktor.

Längerfristig sollen SMR günstiger Strom erzeugen als die gegenwärtigen Kernkraftwerke. Damit der wirtschaftliche Vorteil der Massenproduktion zum Tragen kommt, sind jedoch Stückzahlen von mehreren Hundert für das jeweilige Reaktormodell notwendig. Der Bau von so vielen Reaktoren in den nächsten Jahrzehnten ist höchst unwahrscheinlich.

Auch die Versprechung, dass SMR weniger Atommüll produzieren würden hält der Realität nicht Stand. Eine Studie der Stanford University kommt zum Ergebnis, dass bezogen auf die produzierte Energie die Menge des Atommülls um ein Vielfaches zunimmt.

SMR sind keine Antwort auf die Klimakrise, denn hier ist die erzielte Stromproduktion relevant. Bei geplanten Leistungen von 300 MW würde das den Bau von tausenden kleiner Reaktoren bedeuten. Auch die Begründung, dass SMR schneller entwickelt und gebaut werden können lässt sich nicht nachvollziehen. Der Blick auf aktuell im Bau befindlicher Anlagen wo Zeitverzögerungen von 10 Jahren und mehr auftreten zeigt das mehr als deutlich.

Aufgrund der aktuellen Situation im AKW Saporischschja muss letztlich auch darauf hingewiesen werden, dass mit dem Bau von SMR die Gefahr der Nutzung von radioaktivem Material für militärische Zwecke wie der Herstellung von Atomwaffen steigt.

Schlussfolgerungen

  • Für die meisten Konzepte im Umlauf ist keine unmittelbare Umsetzung zu erwarten.
  • Am wahrscheinlichsten gilt es, dass kleine modulare Versionen der traditionellen Druckwasserreaktoren umgesetzt werden können.
  • Es ist fraglich ob die Sicherheit / Wirtschaftlichkeit verbessert werden können.
  • Kleinere (PWR-) Reaktoren sind in der Regel ineffizienter, weshalb mehr Atommüll zu erwarten wäre pro MWh.
  • Ohne entsprechendes Regelwerk ist es nicht möglich den Bau eines Reaktors zu starten.
  • Kein Klimaretter -> viele tausende Reaktoren mit 300 MW wären dafür notwendig.