Nukleare Märchenstunde bei der Weltklimakonferenz

Presseaussendung

Nukleare Märchenstunde bei der Weltklimakonferenz – Atomlobby propagiert Verdreifachung der Kernenergie

Die Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai schlägt derzeit nicht nur Wellen, weil diese von einem Ölscheich als Präsidenten angeführt wird, sie wird auch von den verschiedensten Lobbygruppen genutzt, Scheinlösungen zum Klimaschutz zu propagieren.

Besonders die Atomlobby legt sich heftig ins Zeug und will mit einer Erklärung zur Verdreifachung der weltweiten Kernenergieproduktion die Aufmerksamkeit und Finanzierung von realistischeren Lösungen ablenken. Papier ist bekanntlich geduldig, die Fakten sprechen eine gänzlich andere Sprache: Weltweit sind 412 Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von 370 GW in Betrieb, und ihr Anteil an der Stromerzeugung sank 2022 mit 9 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Die Atomkraft-Produktion ging laut dem unabhängigen World Nuclear Industry Status Report im Jahr 2022 um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück – der stärkste Rückgang seit 2012, als Japan wegen des Super-GAUs in Fukushima alle Reaktoren vom Netz genommen hatte.

Eine Verdreifachung der Kapazität würde den Bau von mindestens 740 weiteren großen Reaktoren mit einer Leistung von 1000 MW bedeuten. In den nächsten 27 Jahren müsste alle zwei Wochen ein neuer großer Reaktor in Betrieb genommen werden. Sogar stillgelegte Reaktoren müssten ersetzt werden, denn das Durchschnittsalter der in Betrieb befindlichen Reaktoren liegt bei 32 Jahren, wobei 110 von ihnen bereits über 40 Jahre alt sind. Der Hauptautor des World Nuclear Industry Status Report, Energieexperte Mycle Schneider, hält eine solche Vision vom starken Ausbau der Atomkraft für gänzlich unrealistisch. Mehr noch wird die zukünftige Rolle der Atomkraft im globalen Energiemix von den Expert:innen des Reports als irrelevant und marginal gesehen. Aufgrund technischer Probleme, massiven Kostenerhöhungen und zudem einem Fachkräftemangel sind die wichtigsten AKW-Hersteller wie die französische EDF, die US-Firma Westinghouse und Kepco aus Südkorea hoch verschuldet oder mit den laufenden Projekten an ihre Grenzen gestoßen. Den AKW-Markt dominieren der staatlich gesteuerte russische Atomkonzern Rosatom und China.

„Lassen wir uns nicht von der Märchen-Erzählung und dem großen Getöse der Atomlobby blenden, eine Verdreifachung der Atomkraftproduktion ist völlig unrealistisch. Atomkraft ist die teuerste Energieform und wie am aktuellen Beispiel des gescheiterten SMR-Projekts in den USA nicht einmal mit hohen staatlichen Subventionen konkurrenzfähig. Diese Gelder werden dringend für den Umbau zur klimaneutralen Transformation benötigt. Unsere Energiezukunft liegt in den Erneuerbaren und während 22 Staats- und Regierungschef:innen die Atomkraft bis 2050 verdreifachen wollen, teilen fast 120 Länder das Ziel, die Energieerzeugung aus Erneuerbaren bis 2030 zu verdreifachen, das stimmt mich positiv und zeigt die Richtung“, so Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder.

Das deutsche Öko-Institut weist mit einer Analyse die Aussagen von Ex-US Außenminister John Kerry, der als Sonderbeauftragter die Atomlobby in Dubai anführt, wonach Klimaneutralität ohne Atomkraft bis 2050 nicht erreichbar wäre, klar zurück: Zusammengefasst ist eine weltweite Verdreifachung der Kernkraftkapazitäten bis 2050 ist weder realistisch noch notwendig, um die Klimaziele gemäß dem Pariser Abkommen zu erreichen. Erneuerbaren Energien stellen laut Öko-Institut die entscheidende und wichtigste Triebkraft zur Erreichung der Klimaziele. Eine Bewertung der Regierungspolitik verschiedener Länder weltweit zeige, dass ein erheblicher Anstieg der Kernenergie bis 2050 nicht zu erwarten ist.

Auch die hochsubventionierten nuklearen Hoffnungsträger namens Small Modular Reactors (SMR), entpuppen sich als Luftschlösser. Das am weitesten fortgeschrittene SMR-Projekt der Firma NuScale im US-Bundesstaat Ohio wurde Anfang November eingestellt, nachdem die Kostenschätzung um 75 Prozent gestiegen war. Es konnten trotz großzügiger Förderung durch die US-Regierung keine Abnehmer für den überteuerten Strom gefunden werden. Experte Mycle Schneider bezeichnet diese Konzepte als „PowerPoint-Reaktoren“, da sie kaum auf dem Reißbrett existieren und Jahrzehnte von einer Umsetzung in größerem Maßstab entfernt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals realisiert werden, schrumpft mit der zunehmenden Kostenlücke zwischen den bestehenden Reaktor-Konzepten und den erneuerbaren Energien, so Schneider.

Auch mit einer anderen von der Atomlobby propagierten Erzählung räumt Mycle Schneider auf. So würden sich Erneuerbare und Atomkraft niemals gegenseitig ergänzen und bringt dazu das Beispiel des finnischen AKW Olkiluoto. Nach einer Bauzeit von fast zwei Jahrzehnten im April dieses Jahres in Betrieb gegangen, wurde die Leistung bereits im Mai aufgrund unrentabler Großhandelspreise zurückgefahren. AKW können nicht mit der flexiblen Produktion von Erneuerbaren Energien konkurrieren und müssten so viele Stunden wie möglich laufen, damit sich die enormen Vorabinvestitionen amortisieren, so Schneider.