“Atomkraft nachhaltig? Nein Danke!”

Pressekonferenz mit Umwelt- und Klimalandesrat Stefan Kaineder und Mag. Christoph Wurm (Unternehmensentwickler – Sustainable Finance)

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„Atomkraft nachhaltig? Nein Danke! – EU-Kommission legt finale Version der Taxonomie vor – Finanzbranche kritisiert grünes Label für Risikotechnologie

Mit der gestrigen finalen Vorlage des delegierten Rechtsakts zur EU-Taxonomie-Verordnung besiegelt die EU-Kommission ihren Kniefall vor der Atomlobby. Nun liegt es an Rat und Parlament dieses beispiellose Greenwashing mit der Aufnahme von Gas und Atomkraft abzulehnen. Nach der nun erfolgten Veröffentlichung haben das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten vier Monate Zeit zur Prüfung.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler wirft sich für Österreich mutig in die Schlacht und hat umgehend angekündigt, gegen die Entscheidung zur Aufnahme von Atomkraft in den Taxonomie-Rahmen mit einer Nichtigkeitsklage rechtlich vorzugehen. Dies basierend auf einem Rechtsgutachten, das zum Ergebnis kommt, dass die Einbeziehung von Atomkraft nicht mit der Rechtsgrundlage in Artikel 10 der Taxonomie-Verordnung vereinbar ist.

So rechnet das Centrum für Europäische Politik (CEP) mit dem Erfolg einer derartigen Klage, da es sich bei der Vorlage der Taxonomie durch die EU-Kommission – wie die heftige Kritik zeigt – nicht um eine unwesentliche technische Detailregelung handelt und die EU-Kommission nicht berechtigt ist, so eine weitreichende Entscheidung in einem delegierten Rechtsakt zu treffen.

„Ein grünes Label für Atomkraft ist ein großer Schaden für die Glaubwürdigkeit dieser an sich wichtigen Initiative und würde geltende Standards in der Finanzbranche sogar unterschreiten. Es steht Frankreich frei, Unsummen an Staatsgeldern in Atomkraft zu investieren, aber ich stelle mich klar gegen eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig, um Investoren zu blenden. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, jetzt ist auch das EU-Parlament am Zug und Österreich bereitet Rechtschritte vor, um dieses Greenwashing zu verhindern. Atomare Begrünung als Infusions-Tropf für die desaströse französische Atompolitik, das hat nichts mit Nachhaltigkeit oder Klimaschutz zu tun“, so Klimalandesrat Stefan Kaineder.

Atomkraft als Brückentechnologie ist zu gefährlich, zu langsam, zu teuer

Die Atomkraft wird in der Taxonomie als Übergangstechnologie kategorisiert, wenn die Anlagen technisch auf dem neuesten Stand sind, bestimmte Grenzwerte eingehalten werden und ein Entsorgungskonzept spätestens im Jahr 2050 vorliegt. Im Wesentlichen müssen Atomkraftwerke die Vorgaben des Euratom-Vertrags erfüllen. Diese bringen keine verstärkten Anforderungen mit sich, die eine Aufnahme rechtfertigen würden.

In der Bewertung zur Atomkraft wurden neben dem CO2-Ausstoß hochrelevante Nachhaltigkeitskriterien wie das Risiko von Unfällen und die ungelöste Endlagerthematik völlig unzureichend betrachtet. Letztere verschiebt die Entsorgung der radioaktiven Abfälle auf unzählige zukünftige Generationen und verletzt das im Rahmen für die EU-Taxonomie festgelegte „Do no significant harm“-Prinzip (DNSH). Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Atomkraft europaweit eines der wichtigsten Ausschlusskriterien für Sustainable Finance.

Fakt ist, dass mit keiner aktuell am Markt befindlichen Reaktortechnologie ein schwerer Unfall ausgeschlossen werden kann. Auch die Annahme, dass Unfälle extrem selten sind ist nicht zu belegen. Denn in jeder Dekade seit den 1970er Jahren gab es schwere Unfälle und eine Vielzahl kleinerer Zwischenfälle, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie darlegt. Die Folgen solcher potentiellen Atomunfälle sind verheerend und die Schäden an Mensch, Tier und Umwelt ein klarer Verstoß gegen das DNSH-Prinzip. Wie das DIW weiter ausführt ist die Atomkraft derart riskant, dass es weltweit keine Versicherung gibt, die es tragen würde. Die Kosten der Katastrophen von Fukushima und Tschernobyl trägt die Bevölkerung. Für den Super-GAU in Fukushima wurde eine Schadenssumme von 430 Milliarden Euro berechnet, das entspricht dem gesamten deutschen Bundeshaushalt.

In der EU-Taxonomie werden auch keine Kriterien für den Abbau von Uran zur Brennelemente-Herstellung definiert, ein wesentlicher Aspekt, denn in Afrika oder Kasachstan entstehen gewaltige radioaktiv verseuchte Abraumhalden. Umweltschäden und schwere gesundheitliche Folgen für die Beschäftigten werden von der Atomindustrie in Kauf genommen.

Die viel zitierten kleineren, modularen Reaktoren (SMR) sind Jahrzehnte von einer kommerziellen Nutzung entfernt und können keinen Beitrag für das Erreichen der Klimaziele leisten. Besonders bedenklich ist, dass viele SMR-Konzepte den Anspruch auf reduzierte Sicherheitsvorgaben verfolgen, wie aus einer Analyse des Öko-Instituts e.V. hervorgeht.

Kritik der Finanzbranche am grünen Etikett für Atomkraft

Nachhaltige Investitionen boomen, doch die von der EU-Kommission vorgelegte Taxonomie-Verordnung als Wegweiser für AnlegerInnen fällt bei vielen Fondsgesellschaften, Banken, Versicherungen und Finanzfachleuten durch und stößt auf heftige Ablehnung.

Die Finanzbranche wartet bereits seit Jahren auf Vorgaben der EU zur Nachhaltigkeit von Investments. Die nun vorgelegte Taxonomie bleibt aber weit hinter den Branchenstandards auf den Finanzmärkten zurück. So schließen die Mehrheit der EU-Staaten, darunter auch Frankreich im Greenfin-Label, Atomkraft explizit aus.

„Nukleare Energieerzeugung als grün zu bezeichnen ist falsch sowie irritierend, bewirkt vor allem das Falsche und ist für die Lenkung der Finanzströme in Richtung Nachhaltigkeitswerte offensichtlich nicht zweckmäßig und zielführend. Der Finanzsektor ist schon jetzt Teil der Lösung. Daher schließt sich jede nachhaltige Veranlagung in Atomenergie aus. Jeder seriöse, nachhaltige Finanzier schließt Atomenergie aus. Der Finanzsektor ist schon lange weiter und wird nicht mitspielen. Nachhaltige Investoren wollen Zukunft gestalten und ermöglichen. Der Finanzsektor ist Teil des New Green Deal. Atomkraft als grün zu klassifizieren ist kein New Green Deal, das ist ein Old Bad Deal“, so der Unternehmensentwickler Mag. Christoph Wurm.

Die Plattform für nachhaltige Finanzen, eine von der EU-Kommission konsultierte Beratergruppe, kritisierte erst kürzlich den Entwurf der Kriterien für Erdgas, da er das EU-Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 untergraben könnte. Außerdem sei unklar, wie die EU mit möglichen Umweltauswirkungen von Atommüll umgehen werde. Die meisten Mitglieder sehen ein erstes Risiko der Unterminierung des Taxonomie-Rahmens.

Auch eine Reihe von Investoren und Kreditgebern, darunter die Europäische Investitionsbank, erklärte, dass sie diese Technologien nicht in ihre Portfolios aufnehmen werden. Das Forum für Nachhaltige Geldanlagen, das 200 Unternehmen und Organisationen vertritt, hat sich in einem offenen Brief an die EU-Kommission gewandt und dargelegt, dass die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie das EU-Vorhaben Finanzströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken behindert.

So könnten Anleihen von Atomindustrie-Unternehmen als Green Bonds gehandelt werden, die derzeit hoch gefragt sind. Auch ist das durch grüne Anleihen finanzierte Programm NextGenerationEU, zum nachhaltigen Aufbau der Wirtschaft nach der Pandemie, an die Taxonomie-Kriterien gebunden. Damit wäre die desaströse Wirtschaftslage der Atomindustrie mit einem Schlag gebessert und die Liquidität am Kapitalmarkt gesichert – erneut eine indirekte Förderung der unwirtschaftlichen Atomkraft.

Und die Mittel werden dringend gebraucht, denn die großen Atomindustrie-Konzerne wie Westinghouse in den USA und Framatome/Areva in Frankreich sind hoch verschuldet, wirtschaftlich am Boden. Besonders Frankreich, deren Präsident Macron die Atomkraft kürzlich noch als Glücksfall bezeichnet und als Hauptakteur der Atom-Lobby auf EU-Staatenebene auftritt, erlebt aktuell Pleiten, Pech und gefährliche Pannen mit seiner Atomkraftflotte.

Grande Atom-Nation Frankreich – Pleiten, Pech und gefährlich Pannen

Bei der Planung in den 2000er Jahren noch als Vorzeigeprojekt der französischen Atomindustrie gefeiert, hat sich das Reaktordesign European Pressurized Reactor (EPR) als wahrer Albtraum herausgestellt. Die einzige Reaktorbaustelle Frankreichs in Flamanville ist über 10 Jahre in Verzug, die Kosten könnten sich laut französischen Rechnungshof bis zur Inbetriebnahme 2023 von geplanten 3,3 Milliarden auf 19 Milliarden Euro erhöhen.

Zudem wird Frankreich seine gesamte Kernkraftflotte inspizieren müssen, nachdem in drei AKW Korrosionsprobleme festgestellt wurden. Dies betrifft auch die geplanten gefährlichen Laufzeitverlängerungen für eine große Zahl an Reaktoren, deren Inspektionen nun laufend anstehen. Ein solches Phänomen wurde bisher nicht für möglich gehalten, die französische Atomaufsichtsbehörde (ASN) hat dies als „schwerwiegend“ eingestuft.

Während die Energiepreise durch die Decke gehen, musste Frankreich in den letzten Wochen bis zu 17 seiner 56 AKW gleichzeitig außer Betrieb stellen. Strom für die in Frankreich häufigen Elektroheizungen muss zu Höchstpreisen importiert werden. Der Netzbetreiber RTE warnte, dass im Falle einer Kältewelle Industriebetriebe ihre Arbeit einstellen müssen. Auch der französische Rechnungshof kritisierte kürzlich die Atomkraft-Pläne des Präsidenten. So müsste die mehrheitlich im Staatseigentum befindliche AKW-Betreiberfirma EDF bis 2030 etwa 100 Milliarden Euro investieren nur um die Betriebszeit der laufenden Meiler um 10 Jahre zu verlängern. Umgerechnet der dreifache Börsenwert des Unternehmens.

Atomkraft kann keinen Klimaschutz

Aktuelle Zahlen der IEA und des World Nuclear Industry Status Report belegen die Irrelevanz der Atomkraft für den Klimaschutz. Prognostiziert wird, dass bis 2026 knapp 95 Prozent der weltweiten neuen Kraftwerkskapazitäten auf Erneuerbare Energien fallen. Die Kosten von Solarstrom sind in den letzten 20 Jahren um mehr als 90 Prozent gesunken. Der Nettozuwachs an Atomkraftkapazität von 0,4 GW im Jahr 2020 steht einem Zuwachs von mehr als 250 GW der Erneuerbaren gegenüber. Der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion nimmt weltweit ab und beträgt weniger als 10 Prozent. Der Anteil hat sich seit dem Höchstwert im Jahr 1996 nahezu halbiert. Laut dem DIW liegen die Kosten für einen AKW-Neubau bei 130 bis 200 Euro pro MWh, während PV- und Windanlagen für 26 bis 55 Euro pro MWh errichtet werden können.

Wie Zahlen der Stanford Universität zeigen, ist Atomkraft im Vergleich zur Windkraft um bis zu sieben Mal teurer, die Zeit bis zur Inbetriebnahme fünf bis 17 Jahre länger und der CO2-Austoß bei Einbeziehung des gesamten Lebenszyklus mit 9 bis 37 Mal mehr keineswegs klimafreundlich.

„Von der Atomlobby wird immer wieder versucht, Atomkraft als Option für eine klimafreundliche Energieversorgung darzustellen. Nein! Atomkraft ist kein Klimaretter, neue Investitionen in die Atomkraft sind ein schwerer Schaden für den Klimaschutz, denn sie ist zu teuer, zu langsam und zu gefährlich. Bis 2040 erteilte Genehmigungen für Atomkraftwerke sollen unter die Taxonomie fallen, das ist absurd. Bei realistischen Bauzeiten von 10 bis 15 Jahren und den geplanten Laufzeiten sind wir dann über das Jahr 2100 hinaus“, so Klimalandesrat Stefan Kaineder

Eine kräftige Stellungnahme kommt hierzu auch von den Scientists for Future, die basierend auf Studien die klare Aussage treffen, dass die Kernenergie nicht zur Lösung der Klimakrise beitragen kann.