Alarm am Dachstein
Pressekonferenz mit Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder, Mag. Klaus Reingruber (Forschungsleiter Dachsteingletscher – BlueSky Wetteranalysen) und Prof. Friedrich Macher (Vorsitzender Alpenverein Austria)
Alarm am Dachstein – Aktuelle Massenbilanz zeigt Rekordschwund am Hallstätter-Gletscher – Forschungsergebnisse 2025 und die traurigen Konsequenzen unterhalb des höchsten Gipfel Oberösterreichs
Der Hallstätter Gletscher steht im Jahr 2025 vor dem größten Massenverlust seit Beginn des oberösterreichischen Messprogramms im Jahr 2006. Ein schneearmer Winter, ein außergewöhnlich heißer Frühsommer und mehrere Niederschlagsereignisse mit einer Schneefallgrenze weit über 3.000 Meter haben die schützende Schneedecke bereits im Juli größtenteils verschwinden lassen und eine flächendeckende Ablation ausgelöst. Damit setzt sich ein Trend fort, der seit 19 Jahren wissenschaftlich dokumentiert wird: Der größte Gletscher des Dachsteinmassivs hat seit Messbeginn von rund 152 Millionen Kubikmetern über 56 Millionen Kubikmeter und damit ein Drittel seiner Masse verloren; auch die Fläche des „ewigen Eises“ ist um etwa einen Quadratkilometer geschrumpft. Weltweit verlieren Gletscher derzeit jährlich rund 335 Milliarden Tonnen Eis, was den Meeresspiegel pro Jahr um knapp einen Millimeter ansteigen lässt. Nach tausenden Jahren haben sich der Hallstätter und Schladminger Gletscher getrennt. Wege müssen gesperrt oder verlegt werden und touristischen Infrastrukturen sind stark betroffen.
„Wir sehen am Dachstein in Echtzeit, wie rasant die Klimakrise voranschreitet. Ein schneearmer Winter, ein Rekord‑Juni und fortgesetzte Schmelze haben das Eis heuer massiv ausgedünnt. Wir erleben am Hallstätter Gletscher eine Zäsur, die uns als Gesellschaft wachrütteln muss: Klimarekord reiht sich an Klimarekord, und die alpinen Räume werden verletzlicher“, betont Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder. „Selbst in den optimistischsten Szenarien können wir den Gletscher nicht in seiner heutigen Form bewahren. Wir müssen zwei Dinge gleichzeitig tun: die Erhitzung konsequent bremsen und uns an die nicht mehr vermeidbaren Folgen anpassen.“
Seit 19 Jahren begleiten Messungen am Hallstätter Gletscher den Wandel systematisch. Pro Jahr sind acht bis zehn Messtage am Eis notwendig, ergänzt durch Wartung der Wetterstationen und Kameras. Zunehmend kommen digitale Fernerkundungsmethoden – von Satellitenbildern über Luftaufnahmen bis zu Zeitrafferkameras – als Ergänzung zu den klassischen Punktmessungen zum Einsatz.
Sichtbar wird der Wandel auch für die Besucherinnen und Besucher: In der modernisierten Bergstation auf 2.700 Metern sind im Vorjahr in Zusammenarbeit mit dem Ressort von Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder und den Planai‑Bahnen interaktive Installationen entstanden. Die Touch‑Anwendung APP[tauen] macht Messreihen, Klimakurven und den Rückzug des Hallstätter Gletschers anschaulich; ein digitales Fernrohr überlagert den realen Blick auf die Bergwelt mit Layern, die den Rückgang des Schladminger Gletschers eindrucksvoll visualisieren und so „Zeitreise‑Effekt“ erzeugen. Forschung, Technik und Vermittlung greifen ineinander und unterstützen damit Bewusstseinsbildung und Eigenverantwortung am Berg.
„Wir können das Eis in seiner heutigen Form nicht retten“, so Kaineder, „aber wir können die Klimakrise einbremsen, Risiken mindern und Chancen der Transformation nützen.“
Forschung am Dachstein – Ergebnisse der Massenbilanz 2025
Mit dem Start des Forschungsprojektes „Klima und Massenhaushalt des Hallstätter Gletschers“ wurde 2006 eine viele Jahrzehnte andauernde wissenschaftliche Tradition fortgesetzt, die von Friedrich Simony eingeleitet wurde.
In den ersten Jahren war der massive Massenverlust vor allem in der unteren Gletscherhälfte augenscheinlich und messbar, mittlerweile ist die gesamte Gletscherfläche betroffen. Wie auch den Vergleichsbildern aus 2006 und 2024 ersichtlich wird.
Im Bilanzjahr 2024/25 sind erstmals beide Schlüsselfaktoren für den Erhalt von Gletschern negativ ausgefallen: Der Winter brachte deutlich unterdurchschnittliche Schneehöhen, die schützende Schneedecke fehlte früh. Zugleich stieg die Lufttemperatur im Frühsommer rasch an; der Juni war der heißeste seit Beginn der Messungen. Der kühlere, aber niederschlagsreiche Juli brachte keinen Turnaround, weil die Schneefallgrenze mehrfach über 3.000 Meter lag und damit die Schneeschmelze mit anhaltenden Regenepisoden weiterging. Das Ergebnis ist die negativste Massenbilanz seit Messbeginn: Die spezifische Massenbilanz beträgt minus 2.865 Millimeter Wasseräquivalent.
Die Winterbilanz liegt bei plus 844 Millimetern Wasser und damit deutlich unter den Vergleichsjahren. Die Schachtmessungen haben heuer nur rund 3,5 Meter ergeben – im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen rund 6 Meter tiefe Schächte gegraben werden mussten. Die Sommerbilanz ist bei minus 3.709 Millimeter Wasser. Die Ablation erfasst die gesamte Gletscherfläche, Felsinseln treten verstärkt zutage, die Randzonen werden instabiler. Routen mussten verlegt oder temporär gesperrt werden; am Gosaugletscher hat sich ein großer Teil der östlichen Zunge gelöst, ein Felssturz vom Mitterspitz traf die Aufstiegsroute am westlichen Gletscherrand. Für die Gletschermesserinnen und -messer bedeutet das höhere Gefahrenpotenziale und aufwändigere Wegführung zu den Messpunkten.
Herausforderungen für den Alpenverein
Der Alpenverein Austria wurde 1862 gegründet und zählt mit rund 96.000 Mitgliedern sowie 20 Schutzhütten zu den größten Sektionen des Österreichischen Alpenvereins.
Am Dachstein betreibt die Sektion fünf hochalpine Schutzhütten. Zwei davon – Adamekhütte und Simonyhütte – liegen unterhalb von Gletschern; die Seethalerhütte befindet sich am oberen Rand des Hallstätter Gletschers.
Seit dem 19. Jahrhundert sind die Hütten zur Besucherlenkung über ein dichtes Wegenetz miteinander und mit den Gipfeln der Region verbunden.
Der anhaltende Gletscherrückgang machte in den vergangenen Jahrzehnten punktuelle Wegverlegungen notwendig. In den letzten Jahren hat sich dieser Rückzug jedoch stark beschleunigt: Unerwartet freigelegte Felsstrukturen und die große jahreszeitliche Differenz zwischen im Winter flach verschneiter Eisfläche und im Sommer aperem, zerklüftetem Gletscher erschweren eine rasche Anpassung erheblich. Im Zeitfenster des Gletschertiefstands (Juli/August) kam es heuer zudem zu massiven Felsstürzen am Gosaugletscher und an der Dachstein-Südwand.
Die Übergänge vom Gletscher zum Fels werden zunehmend heikel, Sicherungsseile müssen laufend verlängert werden. Am besonders beliebten Schulteranstieg auf den Hohen Dachstein, einst eine einfache Route, entstehen dadurch gefährliche Situationen mit jährlich teils schwer verletzten Personen.
Kartografische Darstellungen der Gletscher lassen sich kaum noch zeitnah nachführen, was die Tourenplanung zusätzlich erschwert. Die Versorgung der 2019 wiedererrichteten Seethalerhütte wird mit einer Trennung von Schladminger und Hallstätter Gletscher gravierend beeinträchtigt bzw. möglicherweise nicht mehr möglich.